Entstehung des Judo

Der Ursprung im Ju-Jutsu

Über tiefergehende Hintergründe der Entstehung von Kampfkünsten in Japan gibt es nur wenige Informationen. Als ziemlich sicher gilt, dass chinesische Mönche vor über 1000 Jahren erheblichen Anteil daran hatten. Mit der Zeit entstanden die Samurai, also Mitglieder der japanischen Kriegerkaste. Sie machten Kampf und Philosophie zu einer festen Einheit. Auch das aus China stammende Zen, eine Mischung aus Buddhismus und Daoismus, trug seine Lehren dazu bei. Aus den Samurai entstanden im Laufe der Zeit zahlreiche weitere Kampfstile, wie zum Beispiel Karate, Kendo und Ju-Jutsu.
Die Samurai jedoch gingen in der Industrialisierung und Modernisierung des neunzehnten Jahrhunderts unter und wurden sogar mehr oder weniger verboten. Ihre „Kinder“ blieben jedoch in den neuen Kampfstilen bestehen. Eines von ihnen war wie gesagt das Ju-Jutsu (auch: Jiu-Jitsu), also „sanfte Kunst“. Es war von den Samurai für den Fall der Waffenlosigkeit geschaffen worden, jedoch diente es auch dazu, „[…] einen Gegner kampfunfähig zu machen, ohne ihn töten zu müssen“ (Ambach 2004, S. 52). Legenden über das Ju-Jutsu gehen bis ins siebzehnte Jahrhundert zurück.
Ähnlich wie im späteren Judo hatte man sich im Ju-Jutsu dem Prinzip des geringsten Widerstandes für einen Sieg verschrieben. Man kam zu diesem Weg durch die „[…] Erkenntnis, dass die Äste starker Eichen im Sturm brechen, während sich die geschmeidige Weide im Wind biegt und durch ihr Nachgeben jeden Angriff unbeschadet übersteht“ (ebd., S. 53). Man entwickelte nach und nach Wurf- sowie Haltetechniken, entgegen dem späteren Judo gab es aber außerdem noch Schläge und Tritte gegen empfindsame Körperstellen. Dennoch gerieten die Kampfkünste in Japan allmählich in die Gefahr, vergessen zu werden.

Entstehungsgeschichte des Judo in Japan

Hier setzt nun die Geschichte eines Deutschen an, der als geistiger Initiator des Judosports benannt werden kann. Es handelt sich um den deutschen Arzt Dr. Erwin von Bälz aus dem württembergischen Bietigheim, der von 1876 bis 1892 eine Medizinprofessur an der Universität des Kaisers in Tokio innehatte. Er interessierte sich sehr für Sport und machte sich auch beim Kaiser, dessen Leibarzt er zudem war, für ein neues System stark. Dr. von Bälz wollte eigentlich das aus Deutschland bekannte Turnen einführen, er stieß aber irgendwann zufällig auf die alten Kampfkünste. Zwar wurde es nie eindeutig bewiesen, jedoch ist anzunehmen, dass er im Jahre 1877 die Schüler seiner Universität zur Ausarbeitung einer Neugestaltung des alten Ju-Jutsu animierte, da dieses ein zu hohes Verletzungsrisiko barg, und dabei auf Gehör und Interesse bei dem gerade mal siebzehnjährigen, hochintelligenten, aber körperlich schwachen Jigoro Kano stieß.

Jigoro_Kano

Dieser studierte in der Folgezeit bei alten Großmeistern das Ju-Jutsu, lernte die Grundtechniken des Greifens und Werfens und zeigte sich trotz seiner anatomischen Defizite äußerst talentiert. Bereits fünf Jahre später war er soweit, dass er sein eigenes Ju-Jutsu-System aufstellen konnte und gründete im Jahr 1882 die erste Übungsstätte in einem alten Tempel. Er gestaltete sich seine Sportart, indem er alle brutalen und verletzenden Elemente des Ju-Jutsu wegließ  also fast alle  und neue Techniken hinzufügte, die die  [& ] Schönheit und Eleganz der Bewegung (Velte 2000, S. 10) zeigen sollten und trotzdem zum Zwecke der Selbstverteidigung fernab der Matte eingesetzt werden konnten. In den folgenden Jahren brachte er zudem noch die seiner Meinung nach erforderlichen erzieherischen Prinzipien in seinem Sport unter.

Im Jahre 1886 gründete er schließlich das Kodokan, eine Judoschule von gerade mal 25 m² Fläche, die er ohne jegliche kommerzielle Ansprüche betrieb. Der Durchbruch gelang erst 1890, als Kanos Judoschüler gegen Kämpfer der größten Ju-Jutsu-Schule in einem Turnier antraten, in dem es mehr oder weniger um die Entscheidung ging, welcher Kampfsport die Gunst der kaiserlichen Verwaltung des Tenno und damit einen gesicherten Weg in die Zukunft erhielt. Die Judoka errangen einen heroischen Sieg mit dreizehn Siegen und lediglich zwei Unentschieden. Damit war klar, welcher der zwei  Erzfeinde nun seine Lehren bei der japanischen Polizei, aber auch in der Armee einbringen würde. Wenige Jahre später floss die Kampfkunst des Judo sogar in die Idee eines Erziehungssystems in Japan ein, in dem Sport die Grundlage bildete. Diese Jahre der Turbulenzen hatte Kano dazu genutzt, die technischen Aspekte des Judo zu vervollkommnen. Nun lag sein Augenmerk auf geistigen und ethischen Problemen, denen er daraufhin den Großteil seines Lebens widmete.

Judo gelangt nach Europa

Den Deutschen waren die Auseinandersetzungen über militärische Ausbildungsstrategien in Japan natürlich nicht entgangen. Sie hatten unter anderem den Militärbeobachter Generalleutnant Alexander von Janson entsandt. Er hatte das Glück als einer der wenigen Ausländer einer Ju-Jutsu-Vorstellung beizuwohnen. Er schrieb in höchsten Tönen von den fremden Methoden, wie zum Beispiel denen des Würgens, und übertrieb auch Manches, sodass man hierzulande enorme Erwartungshaltungen hatte. Außer seinem Bericht drangen nur wenige Informationen bis nach Deutschland vor.
Schließlich kamen im Jahr 1901 Japaner ans Londoner Varietee und gaben in diversen Vorführungen Einblicke in die sagenumwobenen Geheimnisse der fremdländischen Techniken. Dies erweckte eine große Aufmerksamkeit und selbst der deutsche Kaiser Wilhelm II. war nun daran interessiert. Im Jahr 1906 ließ er sich bei einem Besuch aus dem befreundeten Japan eine Privatvorstellung in Kiel geben. Er war auf Anhieb fasziniert, sodass er auch umgehend anordnete, einen japanischen Ju-Jutsu-Lehrer zu beschaffen. Agitaro Ono wurde kurz darauf der Erste, der offiziellen Unterricht an der Militär-Turnanstalt Berlin und an der Hauptkadettenanstalt Lichterfelde gab. Vom aufkeimenden Interesse der Europäer getrieben, kamen nun auch einige Japaner privat nach Europa, um ihre Kunst zu verbreiten, so auch Yukio Tani und Gunji Koizumi. Sie waren die Ersten, die das neue Kodokan-Judo nach Jigoro Kano unterrichteten.
Auch Dr. Erwin von Bälz, der geistige Initiator des Judo, kehrte in dieser Zeit nach Deutschland zurück und bemühte sich um das Bekanntwerden der japanischen Kampftechniken. Da Judo beziehungsweise Ju-Jutsu jedoch, ähnlich wie Fußball oder Boxen, zu den weniger vornehmen Sportarten gezählt wurde, war es schwer, es populär zu machen. Trotzdem kam es 1906 dazu, dass der damals einundzwanzigjährige Erich Rahn die erste deutsche Ju-Jutsu-Schule in Berlin eröffnete. Ab 1910 durfte er sogar die Beamten der Berliner Kriminalpolizei unterrichten und drei Jahre später die Schüler der Militärturnanstalt Berlin. Bis dahin waren die japanischen Kampfkünste also nicht über Berlin hinausgekommen. Dennoch hatte Kaiser Wilhelm II. mit seiner Suche nach einer effektiven Nahkampftechnik ein neues Zeitalter des europäischen Kampfsports eingeläutet. Da jedoch im Jahr 1914 der Erste Weltkrieg begann, stagnierte die Entwicklung für vier Jahre.
Nach diesem weltpolitischen Großereignis hatte das deutsche Volk, welches als Verlierer aus dem Krieg gekommen war, erst einmal andere Sorgen und Probleme, die es zu beheben galt. Deshalb wurde auch eine englische Judoschule, der Budokwai in London, für die folgenden Jahrzehnte zum Zentrum des europäischen Judosports. Sie wurde 1918 durch den Judolehrer Gunji Koizumi gegründet. Er unterrichtete dort zusammen mit Yukio Tani das Kodokan-Judo, beide waren der japanischen Schule jedoch nicht angehörig. Jigoro Kano, der inzwischen ein Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees geworden war und auf zahlreichen Reisen nach Europa bereits seine Philosophie verbreitet hatte, hörte vom Budokwai und besuchte ihn daraufhin umgehend. Kano war beeindruckt von Koizumi und verlieh ihm den 2. Kodokan-Dangrad. Er überredete Koizumi und Tani, dem Kodokan beizutreten. Der Budokwai London wurde zum ersten Verein in Europa, der von Kano autorisiert war, Gürtelprüfungen nach den Regeln des Kodokan durchzuführen. Damit war die lang erhoffte Brücke von Japan nach Europa, die das Judo hier als Existenzgrundlage benötigte, errichtet worden, in Deutschland bestand aber weiterhin Handlungsbedarf. Vier Jahre nach Ende des Krieges, also 1922, machte ein neuer Mann von sich reden: Alfred Rhode. Später wird er von vielen auch der Initiator oder geistige Vater des Judo in Deutschland genannt. Rhode gründete in diesem Jahr den 1. Deutschen Jiu-Jitsu-Club Frankfurt, kurz darauf den Jiu-Jitsu-Club Wiesbaden und die Jiu-Jitsu-Abteilung des Polizeisportvereins Frankfurt. Ebenfalls 1922 war Erich Rahn bei der ersten Deutschen Professional-Meisterschaft im Berliner Sportpalast siegreich. Die Gründung eines Reichsverbandes für Jiu-Jitsu (RFJ) durch Rahn folgte am 01.10.1924.
Dennoch war der Kampfsport in Deutschland weiterhin schlecht organisiert. So gab es zum Beispiel nicht einmal ein Graduierungssystem. Mehr als den Fakt, dass der Meister immer den schwarzen Gürtel trug, wusste man nicht. Alle anderen liefen kunterbunt angezogen auf der Matte herum. Rhode machte sich darüber natürlich seine Gedanken und so stellte er am 15. November 1929 mit dem Budokwai in London Kontakt her, nachdem er über die Presse von ihm erfahren hatte. Rhode riskierte sofort alles und bot dem Budokwai ein Turnier an. Dieser ging auf den Vorschlag ein, mit den Konditionen, dass es in Frankfurt und noch im selben Jahr ausgetragen werden würde. Jedes Team trat mit drei Kämpfern an (für Deutschland: Alfred Rhode, Edgar Schäfer und Philipp Breitstadt). Die Engländer siegten ohne Probleme. Der Budokwai hatte den Deutschen jedoch nicht nur eine Niederlage beschert, er hatte ihnen auch noch etwas anderes  mitgebracht : den Judosport. Damit war die lang gesuchte und ersehnte Abwandlung des Ju-Jutsu, die man endlich als Wettkampf austragen konnte, gefunden.

Autor: Willy Schlegel
Foto: Wikipedia (Jigoro Kano)

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